Prominenz und Demenz: Gedanken zu Positionen auf dem Spielfeld des Lebens

Abseits - aus der Sicht einer Tochter

Johanna Constantini

Johanna Constantini, MSc, geb. 1992 in Wien.

Selbstständige Psychologin in eigener Praxis für Klinische-, Sport- und Arbeitspsychologie in Innsbruck, Tirol. Konzentriert sich in ihrer Arbeit auf die psychologischen Auswirkungen des digitalen Wandels, vor allem in Hinblick auf psychische Erkrankungen. Strategien im persönlichen und gesellschaftlichen Umgang mit Demenzerkrankungen widmet sie sich nicht zuletzt aufgrund der 2019 veröffentlichten Diagnose ihres Vaters, des ehemaligen Fußballnationaltrainers Didi Constantini.

www.constantini.at

Andrea Stix bat mich, meine Gedanken zu den Vor- und Nachteilen des Prominentenstatus in Bezug auf die Alzheimer Erkrankung meines Papas Didi Constantini niederzuschreiben.

Des ehemaligen ÖFB Nationalteamtrainers Didi Constantini, der sehr lange in der Öffentlichkeit gestanden und vielen ein sportliches und menschliches Vorbild gewesen ist. Der dies nach wie vor darstellt. Dieser Bitte komme ich sehr gerne nach, auch wenn mir das Niederschreiben jener Gedanken gar nicht so leicht fällt. Vielleicht deshalb, weil wir uns nie als „Prominente“ verstanden haben. So ist es schließlich allen voran immer mein Papa gewesen, der eher die Namen aller Linienrichter, als die jener Politiker kannte, die im VIP Bereich Bier und Prosecco schlürfen konnten. 

Ohne etwaige gesellschaftliche Positionen zu bewerten, war es auch stets Papa, den ich zu den Spielen ins Stadion begleitete und der am liebsten draußen auf der Tribüne bei den Journalisten gestanden hatte. Jedoch nicht, um ein Interview nach dem nächsten geben zu können, sondern, weil man dort den besten Blick aufs Feld hatte…

Als Familie Constantini verstanden und verstehen wir uns bis heute nicht als prominent, und doch bemerken wir, dass wir wohl anders sind. Die Demenz vom Alzheimer Typ meines Papas wurde dann final gestellt, als sein Geisterfahrerunfall im Juni 2019 allerhand Untersuchungen und Tests nach sich gezogen hatte. Mit dieser Diagnose sind wir als Familie an die Öffentlichkeit gegangen. Und während schon der vorangegangene Crash sicherlich mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, als es andere tagtägliche Geisterfahrerunfälle tun, so sollten wir nun doch jenen vermeintlichen Promistatus bemerken: Dieser äußerte sich nach Bekanntgabe von Papas Diagnose nämlich vor allem in uns entgegengebrachtem Mitgefühl. In Respekt und in Dankbarkeit. Dafür, dass wir – eben als sogenannte „Promis“ – zur Sprache gebracht hatten was in vielen Familien verschwiegen wird.

Wenn ich jedoch über Vor- und Nachteile nachdenke, so denke ich auch an die Monate und Jahre vor Papas Unfall. Schließlich fiel Papa der Ausstieg aus seiner Karriere nicht immer leicht und so zog er sich zeitweise immer mehr aus der Öffentlichkeit zurück. Aus einer Öffentlichkeit, die dadurch phasenweise genauer hinschaute. „Was ist denn mit dem Didi?“, „ist der Didi krank?“, „Was hat der Didi?“ und viele damit einhergehende Gerüchte zu Papas Gesundheitszustand kursierten jahrelang landauf, landab. Ein Nachteil des Promistatus, wenn man so will. Ein Nachteil, den wir für all die Anteilnahme wohl rückblickend gut und gerne in Kauf nehmen. 

Ich glaube, ich spreche für meine gesamte Familie, wenn ich sage, dass die Vorteile in Bezug auf unsere familiäre Geschichte klar überwiegen. Das bemerken wir umso intensiver, wenn wir heute mit Papa unterwegs sind. Wenn er ob seiner Erkrankung und den damit einhergehenden Einschränkungen akzeptiert, viel mehr noch überall herzlich aufgenommen wird. Dabei spüren wir nicht nur Mitgefühl, sondern auch vollkommene Normalität, die die Menschen in Papas Umfeld mit uns leben. Oder zu leben versuchen, soweit es die Erkrankung eben zulässt.

Einen normalen Alltag und ein weitestgehend normales Miteinander leben zu können sollte nicht jenen Betroffenen vorenthalten sein, die über einen vermeintlichen Prominentenstatus verfügen. Und so nutze ich heute meinen sogenannten Promistatus dafür mehr denn je. In der Hoffnung, wir und unser Umgang mit einer Demenzerkrankung in der Familie können Vorbild und Unterstützung sein, gestehe ich mir einen „Promistatus“ gerne zu. Oder vielmehr die Gewissheit, dass wir wohl irgendwie anders sind…